Das deutsche Tierschutzgesetz (TierSchG) gilt uneingeschränkt für alle Tauben und bietet einen umfassenden Rechtsschutz für diese Tiere, unabhängig davon, ob es sich um Stadttauben, verwilderte Haustauben oder Zucht- und Brieftauben handelt.
Allgemeiner Schutzstatus: Stadttauben sind domestizierte Haustiere in verwilderter Form und gehören als Wirbeltiere zum Anwendungsbereich des Tierschutzgesetzes. Sie genießen sowohl bundesgesetzlichen als auch verfassungsrechtlichen Schutz. Der Tierschutz wurde als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz (Art. 20a GG) aufgenommen und ist zudem in verschiedenen Landesverfassungen (etwa der Berliner Verfassung, Art. 31 Abs. 2) verankert.
Kernnorm des Tierschutzes: Nach § 1 Satz 2 des Tierschutzgesetzes darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Diese Bestimmung ist absolute Grundlage für den Umgang mit Tauben.
§ 17 TierSchG regelt die Strafbarkeit von Tierschutzverletzungen. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder ihm länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt. Diese Regelung schützt auch Stadttauben vor willkürlichen Tötungen und Misshandlungen.
Nesthygiene und Störverbot: Stadttauben dürfen bei der Aufzucht ihrer Küken nicht gestört werden. Nester dürfen weder entfernt noch beschädigt oder umgesetzt werden. Wenn ein Nest umgesetzt wird, finden die Elterntiere es nicht wieder, was unweigerlich zum Tod der Küken führt.
Eibehandlung mit Einschränkungen: Für Stadttauben existiert eine Ausnahmeregelung: Bis zu einem bestimmten Brutstadium ist ein Austausch der Stadttaubeneier mit Kunststoffeiern erlaubt, sofern die Eier nicht länger als 10Tage bebrütet wurden. Diese tierschutzgerechte Geburtenkontrolle ermöglicht es, die Population zu regulieren, ohne Tiere zu töten. Nach dem Brutbeginn und besonders nach dem Schlüpfen dürfen Nester und Küken nicht entfernt oder gestört werden.
§ 13 Abs. 1 TierSchG untersagt strikt, zum Fangen, Fernhalten oder Verscheuchen von Wirbeltieren Vorrichtungen oder Stoffe anzuwenden, wenn damit die Gefahr vermeidbarer Schmerzen, Leiden oder Schäden für Wirbeltiere verbunden ist. Dies bedeutet konkret:
Spikes (Stachelleisten) sind problematisch, da sie zu Verletzungen führen können
Klebepasten und Gele sind tierschutzwidrig
Netze müssen fachgerecht installiert sein und dürfen Tauben nicht verletzen
Greifvögel als Vergrämungsmittel sind problematisch
Fallen sind kritisch zu bewerten
Die Installation von Taubenabwehrsystemen darf prinzipiell nicht zu vermeidbaren Schmerzen, Leiden oder Schäden führen.
Das Tierschutzgesetz definiert nicht explizit, was ein "vernünftiger Grund" darstellt. Dies ist ein offener Rechtsbegriff, der für jeden Einzelfall neu bewertet werden muss. Als vernünftig gelten allgemein anerkannte Gründe wie:
Nahrungserwerb des Menschen
Fachgerechte und tierschutzkonforme Schädlingsbekämpfung
Euthanasie erkrankter Tiere
Waidgerechte Jagd
Nicht als vernünftig angesehen werden hingegen Tötungen aus Abneigung, Bequemlichkeit, Langeweile oder bloßem Missfallen an den Tieren.
Keine obligatorischen Gesundheitsschädlinge: Das Bundesinstitut für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat klargestellt, dass verwilderte Stadttauben nicht als obligatorische Gesundheitsschädlinge gemäß Infektionsschutzgesetz gelten – anders als etwa Wanderratten. Sie haben daher einen anderen Rechtsstatus als klassische Schädlinge.
Verhältnismäßigkeitsprinzip: Bei Bekämpfungsmaßnahmen muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden. Milderen Maßnahmen gegenüber Tötungen ist der Vorrang zu geben. Das Abtöten von Tauben sollte lediglich als "letztes Mittel in Notsituationen" in Betracht kommen – etwa zur Sanierung von Risikobereichen wie Betriebsräumen von Lebensmittelbetrieben.
Bahnbrechendes Urteil: Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat 2021 ein bedeutendes Urteil gefällt, wonach behördlich angeordnete Tötungen von Stadttauben rechtswidrig sind, wenn milderen Alternativen nicht hinreichend geprüft wurden. Das Gericht verwies auf das Staatsziel Tierschutz und entschied, dass selbst wenn Tauben als Schädlinge eingestuft werden, diese Tötung nur letztes Mittel sein darf, wenn Einfangung und Unterbringung nicht möglich sind.
Keine Nachhaltigkeit: Wissenschaftlich ist nachgewiesen, dass Tötungsaktionen die Bestände nicht dauerhaft regulieren. Populationen verjüngen sich oder erhalten Zuzug aus umliegenden Gebieten. Eine wiederholte Durchführung ist daher nicht als zulässige "Ausnahme" zu rechtfertigen.
Manche Städte erlassen Taubenfütterungsverbote. Das Verwaltungsgericht Baden-Württemberg hat solche Verbote 2005 grundsätzlich für zulässig erklärt und begründete dies mit dem Ziel der Populationsreduktion und der Gefahrenabwehr. Allerdings hat sich die Rechtslage durch ein Berliner Gutachten der Tierschutzbeauftragten verschärft:
Das Gutachten von Dr. Kathrin Herrmann kommt zu dem Ergebnis, dass Stadttauben zivilrechtlich als Fundtiere gelten und nicht als herrenlose Tiere. Daraus folgt, dass Kommunen eine Fürsorgepflicht gegenüber diesen Tieren haben, ähnlich wie gegenüber anderen Fundtieren. Ein striktes Fütterungsverbot, das zum Verhungern von Tieren führt, könnte daher gegen das Tierschutzgesetz verstoßen, indem es Leiden verursacht.
Für die Haltung von Tauben – sei es in privaten Taubenschlägen oder in kommunalen Taubenhäusern – gelten strenge Anforderungen:
Sachgemäße Unterbringung, Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Behandlung
Ausreichend Sitzgelegenheiten, Nistplätze und Freiflugmöglichkeiten
Angemessene Hygiene zur Vorbeugung von Krankheiten und Parasitenbefall
In Taubenschlägen: Ausreichend lange Tageslichteinstrahlung (13–14 Stunden) mit Möglichkeit zum Rückzug in schattige Bereiche
Richtig gestaltete Niststellen mit tellerartigen Mulden, um Missbildungen bei Jungtieren zu vermeiden
Separate Quartäne für kranke oder verletzte Tauben mit besonderen hygienischen Anforderungen
Wer aufgefundene verletzte oder erkrankte Tauben aufgreift, trägt Verantwortung für deren Versorgung. Ferner haben Kommunen eine Pflicht, kranke oder verletzte Fundtiere tierärztlich behandeln zu lassen. Bei dringend behandlungsbedürftigen Tieren können Behandlungskosten erstattungspflichtig sein.
Zusätzlich zum Tierschutzgesetz unterliegen Stadttauben einem allgemeinen Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV). Sie fallen gemäß § 2 Bundesjagdgesetz (BJagdG) nicht unter das Jagdrecht und dürfen daher nicht bejagt werden.
Das Tierschutzgesetz bildet somit ein umfassendes rechtliches Gefüge, das Stadttauben vor Misshandlung, unnötiger Tötung und tierschutzwidriger Vergrämung schützt, während es gleichzeitig Kommunen und Eigentümern gewisse Möglichkeiten zur Regulierung bietet – allerdings nur unter Einhaltung strenger tierschutzrechtlicher Anforderungen und unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.